Eine essayistische Kurzantwort eines Philosophen.
In Kürze
• Wahrheit schützt vor Machtmissbrauch.
• Woher kommt die Lust an Unwahrheiten? Es ist unsere Phantasie.
• Fake-News reissen mit, die Wahrhaftigkeit spielt keine Rolle mehr.
• Mit Phantasie den Fake-News den Zauber entziehen.
Wenn wir uns Menschen als im Wesentlichen vernünftige Wesen verstehen, dann entkommen wir nicht der ethischen, aber auch sozialen Norm der Wahrhaftigkeit: Du sollst die Wahrheit sagen. Wenn man das nämlich nicht tut, so beleidigt bzw. missachtet man nämlich nicht nur die Menschlichkeit in sich selbst, sondern auch die der anderen Menschen. So könnte eine philosophische Argumentation für Wahrhaftigkeit lauten.
Die soziale Argumentation stützt sich auf die Erkenntnis, dass Wahrhaftigkeit für alle Menschen das Beste ist, wenn der Staat nicht mehr nur von wechselnden Machtverhältnissen und entsprechender Gewalt bestimmt sein soll. Also ist es auch in meinem eigenen Sinne gut, die Wahrheit zu sagen, damit ich nicht unter stets wechselnder Gewalt zu leiden habe.
Haben wir einen diabolischen Trieb?
Soweit die Theorie. Unsere Frage ist nun, was die Faszination von Unwahrheit, Lügen bzw. Fake-News ausmacht. Haben wir in uns einen diabolischen Trieb, gern uns selbst und anderen mit Lügen zu schaden? – Die Antwort ist viel einfacher – und menschlicher.
Denn Unwahrheiten, Lügen und Fake-News setzen eines voraus, das auch den Kern der Vernunft ausmacht: Sprache. Darum setzte der Philosoph Heraklit beides kurzerhand gleich und nannte sie mit einem Begriff lógos [Rede, Wort, Erklärung, Vernunft]. Heraklit versteht das, was er damit bezeichnet, nicht als ein nettes Gespräch beim Wein, das immer wieder anders verläuft, sondern als ewig – und ewig ist von all dem nur die Vernunft.
Die Phantasie als Quelle der Lust an Unwahrheiten
Aber Vernunft hat mit Sprache zu tun, und so ist sie anfällig für Irrtümer und Unwahrheiten. Diese Schwäche nutzen Menschen immer schon aus. Offenbar gibt es tatsächlich eine Lust an Unwahrheiten. Aber worin besteht sie? – Das wissen wir alle, es ist nämlich die Phantasie. Eigentlich sind die Phantasie und die ihr entspringenden Geschichten das Ursprüngliche, und unsere Ethik zähmt nach und nach die Phantasie zugunsten der Vernunft. Die Phantasie wird in anerkannte Bahnen gelenkt vor allem in den vielfältigen Feldern der Künste.
Fake-News reissen mit, unterhalten, ehrlich sind sie nicht
In den Bereichen von Fake-News geht es also nicht mehr um Wahrheit. Es ist hoffnungslos, Menschen, die dort ihr Heil suchen, mit ihr zu kommen. Es geht darum, wer besser lügen kann. Denn gut lügen zu können, ist durchaus eine Kunst und kann mit Autorität und Macht einhergehen. Und die Unwahrheit kann sogar dazu beitragen, in manchen Geschichten die Vernunft zu stärken. Anders gesagt: Bei Geschichten ist es manchmal nicht wichtig, ob sie wahr sind oder nicht, sondern ob sie den Kern treffen, also das, worum es geht, gut veranschaulichen.
Dass es manchen Menschen aber nicht mehr darum geht, andere zu unterhalten, sondern dass sie selbst ihren eigenen Lügen aufsitzen und sie ernst nehmen, ist die grosse Tragik von Fake-News. Und es gibt natürlich die strategischen Manipulierer, die Lügen und Fake-News zur Verwirrung und zur Schwächung bzw. Destabilisierung oder zum Machtgewinn benutzen. Hier wird die Sprache, der Logos, zur Waffe – weit entfernt von dem, was Heraklit darunter verstanden hatte.
Fake-News entzaubern
Was aber wäre, wenn wir sowohl die Vernunft als auch das lustvolle Erfinden von „Unwahrheiten“ ernst nähmen und geistreiche Fake-News erfinden würden, die dem fast immer geist- und humorlosen Charakter der üblichen Fake-News entgegenträten? – Dann würde sich zeigen, dass deren Autoren und Profiteure „nackt“ sind und ihre Macht eine Fata Morgana aus postmodernen Zeiten.
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Stand: Februar 2025.