Eine essayistische Kurzantwort eines Philosophen.
In Kürze
• Wie kommt es zu dem Glauben, dass mit immer mehr und besserer Technik alles besser werde?
• Ein kurzer Blick von der Unabhängigkeit zur Abhängigkeit.
• Die Abhängigkeit von Arbeitskräften ist eine Abhängigkeit nach Energie geworden.
Es ist in der Tat verblüffend: Trotz mit grossem Aufwand geführtem ersten Weltkrieg und zweiten Weltkrieg, trotz Atombomben, trotz immer moderner Waffen und immer weiterer Kriege auf der Welt mit immer besserer Technik und immer grausamerem menschlichen Vorgehen ist doch die Technikgläubigkeit weiterhin riesig. Das zeigt der Glaube daran, die Klimaproblematik mit noch ausgefeilterer Technik überwinden zu können ebenso wie der an die KI, die Frankreich kürzlich dazu brachte, 109 Milliarden Euro in die Künstliche Intelligenz zu investieren. Wie kommt es zu diesem Glauben, dass mit immer mehr und besserer Technik alles besser werde und sich alle Probleme lösen liessen?
Aufklärung als Treiber des Glaubens an Fortschritt
Dieser Glauben fand seinen Anfang in der Aufklärung, in der an Vernunft und Fortschritt geglaubt wurde. Nur einer konnte sich dieser allgemeinen Überzeugung nicht anschliessen: Es war Jean-Jacques Rousseau. 1750 beantwortete er die Frage der Akademie von Lyon, ob die Wiederherstellung der Wissenschaften und Künste zur Läuterung der Sitten beigetragen hätte, mit einem klaren Nein (Abhandlung über die Wissenschaften und Künste).
Rousseau entwickelte die These einer nicht entfremdeten Frühzeit der menschlichen Gesellschaft, zu deren Niedergang Künste und Wissenschaften beigetragen hätten. Hauptgründe seien die durch sie bedingte Arbeitsteilung und der Privatbesitz. Unerwarteterweise gewann er sogar den Preis und wurde berühmt.
Wo hat die Technik ihren Ursprung?
Folgen wir Rousseau einmal insofern, als wir uns fragen: Wo hat das mit der Technik eigentlich angefangen? – Sicher nicht erst bei den alten Griechen, wo téchne das Können von Handwerkern meint. Nicht also das Produkt verstand man darunter, sondern die für dessen Herstellung erforderliche Fertigkeit. Gehen wir noch einige Zeit zurück und denken an die Höhlenmalereien vor ca. 30.000 Jahren, so waren diese sicher keine normalen Graffitis ihrer Zeit, sondern Kunstwerke und die, die sie gemacht hatten, für ihre Fähigkeiten (téchne) hoch geschätzt. Aber abhängig waren die Menschen davon nicht.
Abhängigkeit durch Handel
Abhängig waren sie hingegen von der Jagd, da eine andere Lebensweise in dieser Zeit aus klimatischen Gründen (noch) nicht möglich war. Auch dafür brauchten sie Werkzeuge und Techniken, die sie selber herstellten und herausfanden. Sie hatten also Technik, waren aber nur in begrenztem Ausmass abhängig, da alles innerhalb des Stammes bzw. der Gruppe stattfand.
Irgendwann verwendete man für Pfeilspitzen, Schmuck und anderes Material, das es vor Ort nicht gab. Dann kam die Abhängigkeit vom Handel, von den Fähigkeiten und vom Wissen von Händlern hinzu. Die Abhängigkeit vergrösserte sich.
Vergrösserung der Abhängigkeit
Siedlungen, sogar Städte entstanden. Die Abhängigkeiten wurden komplex. Dann, der nächste grosse Schritt: die Sprache und schliesslich sogar die Schrift. Jetzt wurde die Abhängigkeit neu verteilt: Nicht nur die traditionelle Herrschafts-Machtstruktur schaffte Abhängigkeiten, sondern auch die Sprache, das Sprechen-Können, Lesen-Können, Schreiben-Können. Alles, was zur Bildung gehört, schaffte neue Welten und Abhängigkeiten – und es waren neue Techniken.
Abhängigkeit von Arbeitskraft nimmt ab, die von Energie nimmt zu
Gesellschaften waren sehr, sehr lange abhängig von menschlicher Arbeitskraft. Sie sind es heute etwas weniger und dafür in enormem Mass abhängig von Energie und Wissenschaft, auch wegen der immer mehr zunehmenden Technik.
Sie ermöglichen Gesellschaften, die die Naturnähe ihrer Frühzeit schon lange nicht mehr kennen und sich höchstens noch hin und wieder nach ihr sehnen. Denn so richtig glücklich machen uns all die Erleichterungen der Technik ja nicht, vielleicht fühlen wir uns sogar von Leben, Arbeit und Produkten entfremdet – wie Karl Marx es nennt.
Vorwärts mit Gebrüll?
Vor allem wenn uns dann noch der Klimawandel und die Bedrohung der Arten weltweit daran erinnern, dass die technikbedingte menschliche Lebensweise sehr schlimme Folgen hat, fühlen wir uns nicht wohl in unserer Haut. Ist es möglich, aus dieser Lebensweise weitgehend auszusteigen? Gibt es ein richtiges Leben im falschen?
Ja, an dieser Utopie muss man festhalten, denn ein „Vorwärts mit Gebrüll in den Untergang“ wie derzeit in den USA ist keine menschliche und lebensfreundliche Alternative.
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Stand: Februar 2025.