Eine essayistische Kurzantwort eines Philosophen.
In Kürze
• Zeit als Chronos, der seine Kinder frisst.
• Verschiedene Arten der Zeitmessung: der Kosmos, die Sonne, die Natur.
• Der Wunsch nach Vereinheitlichung und Kontrolle.
• Die neuzeitliche Entfremdung von der Zeit.
• Endzeitgedanken.
Nicht etwa unsere Zeit wird weniger, denn immerhin hat der Tag noch 24 Stunden und das Jahr 365–366 Tage. Das leuchtet wahrscheinlich jedem und jeder ein. Und Zeit vergeht, das wussten schon die alten Griechen. So wurde die Zeit von ihnen nach Chronos benannt, ein Gott, der stets seine Kinder frisst – als Sinnbild für das Vergehen der Zeit.
Die Zeit vergeht: Wie sie messen?
Die Menschen haben seit alters immer wieder versucht, Zeit zu messen. Die älteste Uhr war für sie der Kosmos, in dem sie die regelmässigen Bewegungen genau beobachteten.
Einige Kulturen haben bereits in vorgeschichtlicher Zeit Uhren gebaut, die auf diesen Beobachtungen fussten und bestimmte Zeitpunkte des kosmischen Ablaufs genau abbildeten (z. B. Stonehenge). Diese Zeitpunkte bestimmten das Leben der Menschen, denn sie spiegelten sich auch in der Natur und waren wichtig für die Jagd und den Ackerbau.
Eine auf der Sonne beruhende Zeitmessung hatte die Folge, dass die Tage im Sommer länger und im Winter kürzen waren und dies abhängig war von der geographischen Breite. Diese Zeiten, obwohl nicht überall gleich, waren nichtsdestoweniger praktisch für das Leben der Menschen, da sie der Natur und den erforderlichen Verrichtungen entsprachen und die menschliche Mobilität nicht allzu gross war.
Das Bedürfnis nach Angleichung
Dem setzten die Mönche ein Ende, die ihre Gebete zu Gottes Ehre nicht abhängig von den jeweiligen Tageslängen, sondern überall im gleichen Rhythmus und zur gleichen Zeit verrichten wollten. Diese Idee setzte sich aber nur langsam durch. Selbst die grossen mechanischen Stadtuhren wie die Zytglogge (ca. 1406) in Bern gaben zwar die gültige Zeit für die Stadt an, aber an anderen Orten konnte sie sich durchaus unterscheiden.
Die Zeitmessung drängt ins Leben
Dies wurde erst zum Problem, als es Eisenbahnen und Fahrpläne gab. Diese setzten eine standardisierte Zeit voraus. Aber noch lange danach lief durchaus nicht das ganze Leben ähnlich getaktet ab. Doch in immer mehr Bereichen wurde dieses Organisationsinstrument für Arbeit, Produktion, Unterricht erst zum Vorbild und bald unentbehrlich. Man konnte sich das Leben ohne beständige Zeitmessung irgendwann gar nicht mehr vorstellen.
Man kann also tatsächlich sagen, dass früher (also bevor beständige Zeitmessung in ihrem Leben eine Rolle spielte) die Menschen entspannter im Hier und Jetzt leben konnten. Die Zeit war nicht die Uhrzeit, sondern mehr noch das, was für Menschen mit Ackerbau vor allem wichtig war, das Wetter (frz. le temps heisst ja auch beides, Zeit und Wetter).
Kontrolle, Verlust des Naturbezugs und Entfremdung
Die Zeitmessung ist zwar primär ein Instrument der Organisation und Kontrolle (Arbeitszeiterfassung), aber trägt allein nicht zum Empfinden der Zeitverknappung bei. Da heutzutage jedoch fast das ganze Leben in Zeitraster eingebunden ist und wir stets versuchen, noch mehr darin zu erledigen – möglichst noch auf qualitativ gute Weise – ist das Empfinden des Mangels an Zeit in ausreichender Menge kein Wunder.
Weiterhin löst sich durch Globalisierung und Digitalisierung der menschliche Nahbezug zu Raum und Zeit auf, sie entfremden sich und sind weniger relevant. Zeit verliert ihren Bezug zum Leben und zur Natur, und die Vorstellung der Zeitknappheit zeugt vielleicht vom verzweifelten Versuch, wieder einen Bezug zu ihr zu bekommen, sie einzubetten in das erlebte Leben.
Endzeitgedanken
Darüber hinaus scheut unsere Gesellschaft den Gedanken an das Ende. Was, wenn alle Uhren stehenbleiben oder zumindest die eigene Lebensuhr oder … Die Flucht vor eschatologischen Gedanken (Endzeitgedanken) – ausser in Form von hollywoodfähigen apokalyptischen Visionen – trägt sicher auch zum Empfinden bei, wir hätten immer weniger Zeit.
Allerdings ist es auch real so, dass manche Menschen mehr Zeit und weniger zu tun haben und andere mehr, dass also Zeit zu einem Besitztum geworden ist und so über Freiheit und Macht entscheidet.
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Stand: Februar 2025.